Meetings. Ob im Rahmen von Selbstorganisation oder im normalen Arbeitsalltag, entlang holakratischer oder soziokratischer Prozesse - in jedem Meeting begegnen sich Menschen die etwas gemeinsam haben. Es soll ein Problem diskutiert werden, eine Lösung ausgearbeitet oder eine Entscheidung getroffen werden. Der eigentliche Meetingzweck ist hoffentlich für jeden Teilnehmer bekannt und im Idealfall teilen alle Teilnehmer dasselbe Verständnis über diesen Zweck.

In der Theorie wird das Erfüllen dieses Zwecks, das Erreichen des Ziels durch Faktoren wie:

  • eine klare Struktur
  • gute Vorbereitung aller Teilnehmer
  • eine passende Atmosphäre
  • Moderation bzw. Facilitation

unterstützt. Trotzdem scheitern Meetings immer wieder und Teilnehmer sind genervt oder gar zynisch, wenn die nächste Meetingeinladung im Postfach auftaucht. Besonders bei Terminen, die aus einem Prozess heraus entstanden sind, kann sich dies als besonders Negativ durch eine ablehnende Haltung gegenüber dem Prozess äussern (z.B. Retrospektiven bei agilen Vorgehensmodellen).

Ein Modell: Holacracy

Die in der Holacracy gesetzten Meetings haben eine klare Struktur und einen klaren Rahmen. Ein Tactical Meeting etwa folgt einem definierten Ablauf: Check In - Checkliste - Metriken - Projekt Updates - Spannungen sammeln und prozessieren (siehe Tactical Meetings auf holacracy.org und Tactical Meetings in der holakratischen Verfassung). Dabei sollen klare Regeln zusätzlich unterstützen (vgl. Accountability und Rollen in der holakratischen Verfassung und Entscheidungen über Struktur - Integrative Decision Making im Governance Meeting).

Die Absicht ein Meeting so klar zu “definieren” und zu rahmen ist:

die Teilnehmer sollen sich ganz auf den Inhalt konzentrieren und Unklarheiten mit Hilfe von Prozess und Regeln lösen können

Die Holacracy setzt also den Rahmen für Struktur und Rolle(n), die Aspekte des Ich und des Wir werden nicht im Rahmen von Holacracy geregelt - was den Raum gibt, diese Aspekte selbstbestimmt zu gestalten.

Ich-Wir-Struktur-Rollen: Seiten der Selbstorganisation

Ich-Wir-Struktur-Rollen: Seiten der Selbstorganisation

Warum kommt es dann in einem solchen Rahmen trotzdem zu Eindrücken wie etwa:

  • Zähigkeit
  • niedrige Energielevel
  • kein spürbarer Fortschritt
  • Lähmung der Teilnehmer

oder beispielsweise zu Ereignissen wie:

  • Diskussionen entlang von Standpunkten
  • Gegeneinander diskutieren
  • Streitigkeiten
  • Kapern des Meetings
  • Konzentrieren auf Details die nicht im direkten Zusammenhang zum Meeting stehen

Ein konkreter Fall

Im Rahmen eines Tactical Meetings wird eine Spannung vorgestellt mit der Erwartungshaltung, dass diese aufgelöst wird. Der wichtigste Punkt ist das transparent machen vom zugrunde liegenden Bedürfnis (“Was brauchst Du, damit sich die Spannung löst?”). Ist dies unklar, z.B. weil die Spannung spontan entstanden ist, dann kann ein Auslagern in einen kleineren, dafür vorgesehenen Termin besser sein, als auf den Austausch in der großen Gruppe zu bestehen. Ebenfalls kann die Spannung auch zurückgezogen werden, sodass man sie selbst erst einmal besser verstehen kann.

Die Verantwortung für den einzuschlagenden Weg liegt - meiner Meinung nach - bei dem Menschen der die Spannung eingebracht hat. Gruppe und Facilitator können situativ natürlich durch z.B. Fragetechniken helfen. Hierbei hilft eine neugierige, positive Grundhaltung, sodass der Inhaber der Spannung nicht das Gefühl bekommt sich rechtfertigen zu müssen. Allerdings kann die Gruppe oder der Facilitator auch auf eine separate Bearbeitung bestehen, wenn das eigentliche Ziel des Meetings gefährdet ist.

Weiter in unserem Beispiel: Nachdem das Bedürfnis hinter der Spannung klarer ist und ein Lösungsvorschlag skizziert wurde, folgt die Bitte des Inhabers der Spannung zu einem schnellen Feedback der Gruppe. Allerdings führt diese Einladung dazu, dass ein scheinbar endloser Gesprächsfluss folgt. Es werden viele Aspekte mehrfach gesagt oder Aspekte angesprochen, die nur sehr entfernt mit dem eigentlichen Thema zu tun haben. Alles in allem ist das Quick Feedback dann gar nicht mehr so ‘quick’.

Augenscheinlich ist es am Einfachsten hier mit Hilfe des Facilitators mehr Ordnung und Fokussierung einzufordern. Allerdings gibt es weitere Ansätze, die über die Möglichkeiten des Facilitators hinausgehen und etwa aus der Gruppe der Teilnehmer kommen können. Die eigentlich relevanten Punkte sind in den Antworten der folgenden Fragen zu finden:

  • Warum schweift man thematisch ab?
  • Warum wird bereits Gesagtes wiederholt?
  • Warum wird gegen den Vorschlag “gewettert”?

Kurz: was ist das eigentliche Bedürfnis hinter dem Verhalten?

Meinung, Einwand oder Gesehen werden - Worum geht es wirklich?

Das eigentliche Bedürfnis zu entdecken und ggf. transparent zu machen hilft bei der Beurteilung welche Reaktionen und Gedanken in der Situation passend sind, denn rein holakratisch betrachtet ist die Antwort auf die Frage: “Inwiefern darf/soll ich reagieren?” einfach beantwortet: ich stelle mir die Frage “Ist eine meiner Rollen betroffen?”.

Sobald ich diese mit ‘ja’ beantworte, kann ich entlang der Rollen und des damit verbundenen Purposes antworten. Allerdings ist die Realität wie so oft deutlich komplizierter als wir uns gern eingestehen. Hier ein paar weitere mögliche Aspekte des zugrunde liegenden Bedürfnisses:

Ich möchte zu dem Thema auch etwas beitragen. Worum geht es hierbei wirklich? Möchte man seine Partizipation zeigen? Möchte man eine wertvolle Information teilen? Möchte man gesehen werden? Das Bedürfnis etwas beizutragen und Teil von etwas zu sein ist uns allen bekannt, die spannende Frage ist daher: Warum?

Ich habe die Befürchtung, dass eine Entscheidung getroffen wird, die nicht einfach veränderbar ist. Auch außerhalb der Holacracy sind viele Entscheidungen gar nicht so endgültig wie sie sich anfühlen. Häufig ist eher die Annahme, dass es diesmal endgültig sein könnte der zugrundeliegende Motivator. Hier kann eine gemeinsame Übereinkunft helfen das notwendige Vertrauen geben zu können. Ein vertrauensvoller Umgang kann ebenfalls helfen die eigenen Gedanken zu teilen und zu zeigen.

Ich habe die Befürchtung, dass eine Entscheidung getroffen wird, die negative Folgen hat. Hier kann eine Rückfrage helfen: basiert dies auf einer Annahme, meinem Bauchgefühl oder vielleicht sogar einem Erfahrungswert? Häufig ist eine solche Befürchtung auf Erfahrungen oder vergangene Erlebnisse bezogen und ggf. sogar an Glaubenssätze gebunden. Offenheit, Vertrauen und der Mut sein zugrunde liegendes Bedürfnis aufzuzeigen helfen für sich selbst oder der Gruppe damit umzugehen.

Ich habe die Befürchtung, dass eine wichtige Information nicht berücksichtigt wird. “Muss ich diese Information jetzt teilen oder reicht es auch später im kleinen Kreis der eigentlich Betroffenen?” ist eine gute Frage zum Perspektivwechsel und hilft situativ zu entscheiden, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Die Frage ist meiner Meinung nach somit nicht automatisch: “Muss ich die Information wirklich teilen?”, sondern nur ein Überprüfen des Zeitpunkts.

Ich möchte vorherige Standpunkte unterstützen bzw. abschwächen. Sicherlich kann man in eigenen Worten nochmals das Sagen, was bereits gesagt wurde. Das Einführen einer Regel, ob ein ‘+1’ für Zustimmung oder ‘-1’ für Ablehnung (angelehnt an Abkürzungen in der Kollaboration von OpenSource Entwicklung) ausreicht, kann hier sehr hilfreich sein. Wichtig ist, dass alle wichtigen zwischenmenschlichen Aspekte (z.B. als Mensch gesehen werden, Wertschätzung, Zugewandtheit) auch in einer solchen Abkürzung berücksichtigt sind.

Ich vermute, dass ein anderer Kollege(in) sich nicht traut etwas zu sagen und antworte an seiner / ihrer Stelle. Zuerst braucht es Klarheit ob es sich hierbei um eine Annahme handelt oder man vorher um Unterstützung gebeten wurde.

Weiß man selbst, das die andere Person sich nicht traut, dann ist es sinnvoll die zugrundeliegende Motivation zu kennen. Steht jemand etwa ungern im Fokus des Meetings, kann man gemeinsam Punkte ansprechen. Hat eine Person aber Angst, etwa weil sie sich mit ihrer Sichtweise in Gefahr begibt (Bloßstellung etc.), sollte es Möglichkeiten geben diese Gefahren ohne konkreten Personenbezug anzusprechen und zu lösen.

Sich selbst zum Stellvertreter zu machen kann ein Thema sehr schwer besprechbar machen, da man unter Umständen die zugrundeliegende Problematik gar nicht durchdrungen hat oder auch gar nicht selbst “betroffen” ist. Ein Thema zu “verschieben” und dann im geschützten Raum Klarheit über die Annahme zu schaffen und ggf. als Unterstützer(in) aufzutreten.

Meine Meinung muss zu dem Thema gehört werden! Hier ist es wichtig sich der Gratwanderung zwischen: Meinung, Bedürfnis nach Sichtbarkeit und Informationsweitergabe deutlich zu machen. Möchte ich meine Meinung äußern, damit sie gehört wird? Damit alle wissen, dass ich eine Meinung habe? Ist in ihr ein begründeter Einwand enthalten? Was ist mein eigenes zugrunde liegendes Bedürfnis? Braucht jemand Rückendeckung von mir? Hilft meine Meinung der Gruppe oder der Sache, damit wir unser Ziel erreichen? Gibt es andere Möglichkeiten meine Meinung anzubringen (Face to Face, separater Termin)?

Warum möchte ich etwas sagen? Welche (hier beispielhaften) Anteile hat mein Bedürfnis?

Warum möchte ich etwas sagen? Welche (hier beispielhaften) Anteile hat mein Bedürfnis?

Wertschätzung und die Luft reinigen

Menschen die sich begegnen und dabei sprichwörtlich auch auf sehr unterschiedliche Weise miteinander in Kontakt kommen lernen viel voneinander. Dies beeinflusst bewusst und unbewusst die Zugewandtheit. Abhängig von der eigenen Tagesform, dem inneren Team und den gehörten Botschaften (vgl. Schulz von Thun, 4 Seiten einer Nachricht) entstehen Eindrücke und Reaktionen.

Schulz von Thun - 4 Seiten einer Nachricht

Schulz von Thun - 4 Seiten einer Nachricht

Sich über das Geschehene am Ende des eigentlichen Termins auszutauschen, indem die Möglichkeit zum “Reinigen der Luft” bietet ist sehr hilfreich. Diese Clear the Air Phasen bieten die Chance über das gerade erlebte zu reden und mögliche Missverständnisse anzusprechen. Besonders am Anfang einer neuen Meetingsituation (z.B. neue Teamkonstellation, gerade eingeführte Retrospektiven) sind sie mit Unterstützung durch Moderation sehr wertvoll und gleichzeitig kurz.

Clear the Air - genauso wie Meetings im Allgemeinen - bedeuten, dass wir uns zeigen und beobachten. Beides braucht für unterschiedliche Aspekte Vertrauen, Offenheit und Wertschätzung. Ein solches Miteinander entsteht nicht einfach so, sondern bedarf entweder eines Vorschusses oder basiert auf einer bereits bestehenden Kultur. Vertrauen beispielsweise braucht unter Umständen sehr lange bis es entsteht - ist aber auch sehr schnell aufgebraucht.

Daher ist es wichtig Aspekte wie Geringschätzung, Flapsigkeit, (Vor)urteile oder Rechthaberei zu vermeiden. Menschen wollen gesehen und akzeptiert werden. Entlang ihrer Präferenzen und individuellen Qualitäten sind ihre Bedürfnisse leichter oder schwerer erkennbar. Aber eben diese unterschiedlichen Perspektiven führen dazu, dass eine gemeinsame Lösung meist deutlich schlagkräftiger ist. Dazu müssen wir uns aber bewusst sein, dass wir meistens unterschiedliche Bedürfnisse haben und jeder für sich selbst eigenverantwortlich Klarheit über die eigenen Bedürfnisse erlangen muss.